Die vorangestellten Gedanken waren wohl erforderlich, will man die Gründe verstehen, die die Altbewohner von Beuel am 6. April 1862 veranlassten, sich zu einer Gemeinschaft zusammenzuschließen. Dem Schiffer-Verein Beuel. Man wollte die Notwendigkeit umschreiben, die Quellen des Althergebrachten nicht versiegen zu lassen, sich des ahnenreichen Herkommens zu erinnern. Schließlich aber wollte man dichter zusammenrücken in der Ortsgemeinschaft, so, wie es die Vorfahren als Schiffer in schicksalsschweren Zeiten in treuer nachbarlicher Hilfe vorgelegt hatten.
Fast eine kuriose Situation. Und doch wird sie begreiflich, wenn man erkennt, dass die Gründe, die damals die Gemeinschaft aus der Taufe hoben, heute noch ihre volle Gültigkeit haben, wenngleich sie, wirtschaftlich gesehen, nicht mehr entscheidend wirken. Der Schiffer-Verein 1862 ist der älteste kirchliche Verein, ja Beuels ältester Verein überhaupt, denn der Beueler Männer-Gesangverein ist einige Monate später, im Dezember des gleichen Jahres, gegründet worden.
Dass man so mit Zähigkeit an Beuels ältestem Verein hängt, ist wohl, was insbesondere die alten Familien angeht, die Verbundenheit mit dem Strom, ist ein Stück Tradition, ist eine unlösbare Verkettung mit der Lebensgestaltung und Lebensbejahung der Altvorderen, die irgendwie in der inneren Verfassung der Familien still und behutsam weiterschwingt.
Es war nicht allzu schwer, die Gemeinschaft der Schifferbrüder und Schifferfrauen – so nannte man sich klangvoll und beziehungsreich – zusammenzubringen. Saß man doch abends nach der Tages Last und Mühe in der wärmeren Jahreszeit plaudernd vor der Haustüre und nachbarte, wie man so schön sagt, in des Wortes schönster Deutung, oder man traf sich abends am Ufer, wenn die Männer die ellenlangen Angelschnüre spickten und für die Nachzeit auslegten.
Wenn aber im Winter bei länger andauerndem Frost der Rhein Treibeis führte und die ruhigeren Wasserflächen der Uferzonen zugefroren waren, verschwanden die Nachen vom Strom und man traf sich schließlich auf den an den Ufern aufgeschobenen Eisschollen oder gar zu einem schlitternden Gang über die festgefrorenen Flächen.
Das war die Zeit, in der die Schlittschuhe ausgepackt wurden. Es ist noch schön, sich daran zu erinnern, als wir als junge Burschen uns zu früh oder zu wagemutig auf das Eis begaben, kurzerhand im Eis einbrachen und bis zum Bauch im Wasser standen. Diese kleinen Unfälle waren für uns aber kein Problem, denn Lambert Schell hatte in der Wäscherei Alexander Thiebes seinen Dampfkessel stets unter Feuer stehen, wo wir binnen einer halben Stunde wieder getrocknet waren.
Diese „Eiszeit“ war die Zeit, in der die Fischer ihre Wasserfahrzeuge überholten und für sie die Eisfischerei begann. Die Eisfischerei ging auf Standfische, die bei der Kälte an bestimmten Stellen zusammenstanden. Die erforderlichen Löcher wurden meist am Vortag in die Eisdecke geschlagen. Denn durch den Lärm vertrieb man die Fische, die erst allmählich wieder zu ihren Standplätzen zurückkehrten. Damit die Löcher im Eis über Nacht nicht zufroren, verstopfte man sie mit Stroh.
Wer die Chronik des Schiffer-Verein liest, wird an manche idyllische Begebenheit aus früherer Zeit erinnert. Welch trautes Bild mag damals am frühen Sonntagmorgen der Rhein geboten haben, als die Beueler, da sie noch kein eigenes besaßen, in ihren Kähnen zum Gotteshaus nach Bonn übersetzten. 1878 bot sich den Bonnern ein seltsam schönes Bild. 50 bis 60 Nachen fuhren mit Lampions geschmückt zur Bonner Seite, um dem damaligen Prinzen Wilhelm zu huldigen. 1901 strahlte gelegentlich der 47. Generalversammlung der Katholiken in Bonn das Standbild des Hl. Johannes von Nepomuk und das ganze Beueler Ufer in bengalischem Lichte – ein Werk des Schiffer-Verein. Als Kardinal Vannutelli stromabwärts zum Eucharistischen Kongress in Köln fuhr, scharten sich die Mitglieder des Vereins beim festlich geschmückten Standbild um ihre Fahne und begrüßten den Gesandten des Nachfolgers des Hl. Petrus mit Böllerschüssen.
Leider gehört dieses alles, wie so vieles vorher, der Vergangenheit an. Aber um zu fühlen, welchen Fortschritt wir in der heutigen Zeit als selbstverständlich genießen, ist es gut, sich gelegentlich des früher Gewesenen zu erinnern. Die Gilde der Fischer und Schiffer in Beuel ist zwar ausgestorben. Nicht aufgehört aber hat die alte Liebe zum Strom.
Es ist wohl so, wie Redakteur Thiebes aus Hagen, der „Studio“, wie er hiesigen Ortes genannt wurde, gelegentlich der 70-Jahr-Feier des Vereins sagte: „Das Rheinwasser auf der Beueler Seite ist ein starkes Bindeglied.
Letztlich aber traf man sich immer, wenn man sonn- und feiertags fast geschlossen nach Vilich zum Kirchgang pilgerte. Schnell machte der Plan die Runde, und schnell erkannte man den hohen ideellen und fürsorgerischen Wert dieses Vereins. Aus der Idee der christlichen Nächstenliebe geboren, steht er in engster Verbindung mit der Pfarrei. Der Schiffer-Verein wurde ins Leben gerufen, um die kranken Mitglieder zu unterstützen und für ein würdiges Begräbnis der verstorbenen Mitglieder Sorge zu tragen. Denn damals wurden die Toten auf dem Vilicher Friedhof beigesetzt. Das erste Eigentum des Vereins waren eine Bahre und ein Leichentuch.
Die nachfolgenden Statuten aus dem Gründungsjahr 1862 mussten am 1. Januar 1900, gesetzlichen Bestimmungen folgend, erneut der Behörde vorgelegt werden.
Über diese statuarischen Bestimmungen gab es noch eine Reihe ungeschriebener Gesetze, insbesondere eine rege Beteiligung an allen kirchlichen Festen und Prozessionen. Hier ist wohl zu sagen, dass der Verein sich seit jeher stark an das kirchliche Leben band, war er doch so etwas wie eine Bruderschaft, die sich dem Schutze der Kirche anvertraute. So waren die Pfarrherren der Beueler St. Josefs-Parrei seit ihrem Bestehen immer auch Ehrenmitglieder des Schiffer-Verein.
Der Plan der Erbauung eines eigenen Beueler Gotteshauses ist im Schoße des Schiffer-Verein entstandene. Mit vollem Eifer setzten sich die Schiffer mit dafür ein, als es galt, in Beuel eine eigene Kirche zu bauen. Groß war die Freude, als das neue Gotteshaus stand, brauchte man doch nun nicht mehr den oft beschwerlichen Weg nach Vilich anzutreten, wollte man seinen kirchlichen Pflichten genügen. 1882 stiftete der Verein eine Kirchenbank, für den St. Antonius-Altar stiftete man 1886 eine Statue des Hl. Nikolaus, und schließlich fand man sich bereit, im Jahre 1903 der neuen Pfarrkirche eine St. Nikolaus-Glocke zu verehren mit der Inschrift:
St. Nikolaus, St. Nikolaus,
ruft weit vom hohen Turm hinaus.
O wache über Beuel am Rhein
Und schütze seinen Schiffer-Verein.
Von Anfang an verschrieb sich die Fischergemeinde der Obhut und Fürsorge des Hl. Nikolaus, galt doch der Heilige, der einer Legende nach einmal ein Schiff errettete, als der Schutzpatron der Schiffer seit alters her.